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Orthorexie Ursachen: Die verborgenen Faktoren hinter dem Drang nach Perfektion in der Ernährung

Der ständige Gedanke an die „richtige“ Ernährung bestimmt bei immer mehr Menschen den Alltag. Orthorexia nervosa, kurz Orthorexie, beschreibt eine Fixierung auf gesundes Essen, die zum Zwang wird. Die Betroffenen verbringen Stunden mit der Planung ihrer Mahlzeiten, meiden bestimmte Lebensmittelgruppen rigoros und isolieren sich zunehmend sozial. Doch welche tieferen Faktoren verbergen sich hinter dieser Essstörung?

Gesellschaftlicher Druck und Gesundheitsbewusstsein

Die aktuellen Gesundheits- und Ernährungstrends üben einen enormen Druck auf den Einzelnen aus. In sozialen Medien begegnen uns täglich Bilder von perfekt zubereiteten Smoothie-Bowls, Clean-Eating-Tellern und durchtrainierten Körpern. Diese Ideale suggerieren, dass Gesundheit und ein perfekter Körper durch die „richtige“ Ernährung erreichbar seien.

Ein ehemaliger Orthorexie-Patient berichtet: „Angefangen hat es mit dem Wunsch, mich gesünder zu ernähren. Nach wenigen Monaten hatte ich so strenge Regeln aufgestellt, dass ich kaum noch außer Haus essen konnte. Die Angst vor ‚unreinen‘ Lebensmitteln bestimmte mein Leben.“

Diese Entwicklung wird durch zahllose Ernährungsratgeber verstärkt, die oft widersprüchliche Botschaften verbreiten: Low Carb, Paleo, vegan, glutenfrei – jede Richtung beansprucht für sich, der einzig wahre Weg zu Gesundheit und Wohlbefinden zu sein. Für prädisponierte Personen kann diese Informationsflut den Nährboden für die Entwicklung einer Orthorexie bilden.

Psychologische Risikofaktoren und Persönlichkeitsmerkmale

Bestimmte Persönlichkeitsmerkmale erhöhen die Anfälligkeit für orthorektisches Verhalten. Psychologische Untersuchungen zeigen wiederholt, dass folgende Faktoren eine bedeutende Rolle spielen:

  • Perfektionistische Tendenzen und hohe Leistungsorientierung
  • Ausgeprägtes Kontrollbedürfnis
  • Zwanghafte Persönlichkeitszüge
  • Erhöhtes Gesundheitsangstlevel

Dr. Maria Schneider von der Universität Hamburg erklärt: „Menschen mit Orthorexie versuchen oft, durch die strikte Kontrolle ihrer Ernährung ein Gefühl von Sicherheit und Berechenbarkeit in ihrem Leben zu schaffen. Was als gesundheitsbewusstes Verhalten beginnt, entwickelt sich schleichend zu einem Kontrollzwang.“

Besonders in Lebensphasen mit hoher Verunsicherung oder nach einschneidenden Erlebnissen kann sich die Orthorexie manifestieren. Die Ernährungsregeln bieten dann scheinbar Halt in einer als unkontrollierbar empfundenen Situation.

Frühkindliche Prägungen und familiäre Einflüsse

Die Wurzeln einer Orthorexie reichen häufig bis in die Kindheit zurück. Studien deuten darauf hin, dass der elterliche Umgang mit Essen einen entscheidenden Einfluss auf das spätere Essverhalten hat. Wenn Mahlzeiten in der Familie mit strengen Regeln verbunden waren oder Essen als Belohnung oder Bestrafung eingesetzt wurde, kann dies problematische Muster fördern.

Eine systematische Analyse der Krankengeschichten von Orthorexie-Patienten zeigt außerdem, dass viele Betroffene aus Familien stammen, in denen großer Wert auf Äußerlichkeiten und körperliche Erscheinung gelegt wurde. Der Zusammenhang zwischen Selbstwert und Ernährung wird hier früh verinnerlicht.

„Meine Mutter war immer sehr gesundheitsbewusst“, erinnert sich eine Betroffene. „Zucker war praktisch verboten, und sie kommentierte ständig, was andere aßen. Diese Bewertung von Lebensmitteln als ‚gut‘ oder ’schlecht‘ habe ich vollkommen übernommen und später extremisiert.“

Biologische Faktoren und neurobiologische Veränderungen

Auch biologische Faktoren können bei der Entwicklung einer Orthorexie eine Rolle spielen. Neuere Forschungsergebnisse weisen auf Veränderungen im Serotonin- und Dopaminsystem hin, die mit zwanghaftem Verhalten und Belohnungsempfinden zusammenhängen.

Interessanterweise zeigen bildgebende Verfahren des Gehirns ähnliche Aktivierungsmuster bei Orthorexie wie bei anderen Zwangsstörungen. Die strikte Einhaltung der selbst auferlegten Ernährungsregeln aktiviert das Belohnungszentrum im Gehirn und kann zu einem suchtähnlichen Kreislauf führen.

Professor Dr. Thomas Müller vom Zentrum für Essstörungen in München erklärt: „Bei orthorektischem Verhalten beobachten wir eine Überaktivierung in jenen Hirnarealen, die für Angstzustände und zwanghafte Kontrolle verantwortlich sind. Gleichzeitig führt die ‚erfolgreiche‘ Einhaltung der rigiden Regeln zu einer Dopaminausschüttung, die als Belohnung empfunden wird.“

Traumatische Erfahrungen als versteckter Auslöser

Traumatische Lebensereignisse können ebenfalls als Auslöser einer Orthorexie fungieren. Nach belastenden Erlebnissen wie schweren Erkrankungen, Unfällen oder emotionalen Traumata suchen viele Menschen nach Wegen, Kontrolle über ihr Leben zurückzugewinnen.

Eine vermeintlich gesunde Ernährung erscheint hier als idealer Ansatzpunkt: Sie verspricht nicht nur physische Gesundheit, sondern auch ein Gefühl von Reinheit und moralischer Überlegenheit. „Nach meiner Krebsdiagnose entwickelte ich einen regelrechten Fanatismus bezüglich meiner Ernährung“, berichtet ein ehemaliger Patient. „Ich war überzeugt, dass ich durch die perfekte Ernährung meine Krankheit besiegen könnte.“

Therapeutische Erfahrungen zeigen, dass hinter der extremen Beschäftigung mit Ernährung oft unverarbeitete psychische Konflikte stehen. Die Fixierung auf Lebensmittel dient dann als Ablenkung von den eigentlichen Problemen.

Therapiemöglichkeiten und Wege aus der Orthorexie

Die Behandlung einer Orthorexie erfordert ein multidimensionales Konzept, das die individuellen Entstehungsfaktoren berücksichtigt. Die kognitive Verhaltenstherapie hat sich als besonders wirksam erwiesen, um die rigiden Denkmuster zu durchbrechen und ein flexibleres Verhältnis zum Essen zu entwickeln.

In der Therapie geht es zunächst darum, die zugrundeliegenden Ängste zu identifizieren und zu bearbeiten. Schrittweise werden dann die starren Ernährungsregeln hinterfragt und erweitert. Dieser Prozess ist oft schmerzhaft für die Betroffenen, da sie lernen müssen, die vermeintliche Sicherheit ihrer Regeln aufzugeben.

Ergänzend haben sich Achtsamkeitsübungen und Körperwahrnehmungstraining bewährt, um wieder ein natürliches Hunger- und Sättigungsgefühl zu entwickeln. Auch die Einbeziehung des sozialen Umfelds ist wichtig, um gemeinschaftliche Esssituationen wieder als positiv erleben zu können.

Die Erkenntnis über die komplexen Ursachen der Orthorexie bildet die Grundlage für einen erfolgreichen Therapieprozess. Nicht die Obsession mit gesunder Ernährung zu bekämpfen, sondern die dahinterliegenden Bedürfnisse zu verstehen und alternative Bewältigungsstrategien zu entwickeln – dies sind die Schlüssel zur Überwindung dieser modernen Essstörung.

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